Der zweite Tag nach Donald Trumps Erklärung zur Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels schickte sich an, seine Tore allmählich zu schließen. Es ist Freitag, der heilige Tag der Muslime. In der Ferne sehe ich große dunkle Qualmwolken brennender Autoreifen aufsteigen. Ein bekanntes Zeichen des Widerstandes auf palästinensischer Seite, heute gegen Trumps Äußerung und auch gegen die Okkupation. Die Palästinenser sind zu einem dreitägigen, starken Ausdruck ihres Widerstandes aufgerufen. Das goldene Licht des späten Nachmittags zeichnet ein betörendes orange gelb auf die Höhen und Tiefen der Halbwüste, in die uns der Pickup getragen hatte. Beladen ist er wie so oft mit allem, was die Menschen in ihrem Alltag hier gerade brauchten. Eyal, Israeli und ein echter Engel auf Erden, bringt wieder einmal, die von ihm gesammelten, in Israel nicht mehr verwendeten Haushaltsdinge zu seinen palästinensischen Nachbarn in das von Israel okkupierte Gebiet.
Wir sind auf dem Weg zu einer Familie, die dringend Mobiliar braucht und uns als Dank mit einem Festmahl erwartet. Doch an dieser Stelle des Tages verlässt uns der getreue Pickup. Die Achse bricht. Er legt sich mitsamt seiner wichtigen Last, seinem israelischen Kennzeichen inmitten der drei Tage des Zornes im okkupierten, palästinensischen Gebiet auf der Straße ab und rührt sich nicht mehr. Ich stehe neben ihm und meine Gedanken wandern den Weg zurück, der uns hierherbrachte. Ich sehe den Familienvater vor meinen inneren Augen mit dem endlosen Zahnschmerz und dem fehlenden Geld für eine längerfristige, tiefgehende Behandlung. Eyal hatte begonnen Gelder zu sammeln, die in Dankbarkeit entgegen genommen wurden und noch nicht ausreichten, um die Schmerzbehandlung mit dem Zahnersatz abzuschließen. Doch heute stand das seelische Leid in der Mitte des Raumes. Die Wut und das Unverständnis zu der Äußerung von Trump und die sich immer wiederholende Zerstörung von Häusern im Ort durch die Armee der israelischen Regierung brechen sich ihre Bahn in einem einfachen Mann, der sich, wo immer er kann für den Frieden einsetzt. Der Israeli hört dem Palästinenser zu. Eyal war selbst in der Armee, wie fast jede Israelin, jeder Israeli. Er hört wie der andere von dem Wunsch nach Freiheit und Sicherheit, von Gegenwehr spricht und er fragt:“ was dann, wenn wir weiterhin unsere Wut gewalttätig ausleben? Was wird anders, sicherer, freudvoller, wenn unsere Armee weiter eure Häuser zerstört und eure Extremisten dafür Israelis erstechen oder sich in die Luft sprengen. Ich bin auch Israeli und jetzt bin ich hier bei dir. Was dann?“ Wir nippen schweigend an unserem frisch gekochten Tee. Ja, was dann? Die beiden Männer verabschieden sich herzlich. Der Pickup schaukelt uns weiter durch einen sehr sonnigen, warmen Wintertag. Ich bilde mir ein, Eyals Schmerz und seine Erschöpfung im Auto deutlich zu spüren.
Auch Engel scheinen manchmal Schmerzen zu haben. Wir sind nun auf dem Wege zu einer kurzen Stippvisite bei einer Familie weit weg von den Bulldozern der israelischen Armee. Wir wollen ihnen Honig bringen für ihre arabische Medizin. Das Glück springt uns schon von weitem in Form eines breiten Lächelns an. Aber natürlich trinken wir Tee. Es ist ja quasi wie eine Glücklichsein Aufladestation und auch das braucht ein Engel. Wir lachen viel und ich übergebe von Herzen gern den Honig, den ich bei einem Imker in einer jüdischen Siedlung erstanden habe. Ein jüdischer Siedler, der mir in dankbarer Erinnerung an die früheren Zeiten arabisch, israelischer Nachbarschaft seinen Honig verkaufte. Auch so ein engelhafter, köstlicher Moment. Hm, schöne Erinnerung. Doch nun geht es schon weiter, denn es gibt einen Hilferuf, an einen Ort, an dem ganz viele Lämmer an Durchfall erkrankt sind und sterben. Ob Eyal nicht eine Idee habe. Wir eilen hin. Eyal schaut, hört zu, stellt Fragen, telefoniert mit einem israelischen Tierarzt, der wieder einmal bereit ist, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Der feste Plan unserer Mägen und unseres Zeitgefühls ist nun schnurstracks mit den dringend benötigten Möbeln zu unserem palästinensischen Gastgeber zu fahren. Doch nun stehen wir hier, der Engel und ich und schauen auf die gebrochene Achse des Pickups, den Qualm der brennenden Reifen in der Ferne und die lichtgoldene Landschaft, die ihre Nachtkälte bereits großzügig anmeldet. Was nun? Eyal kennt hier niemanden. Das macht nichts. Zehn Minuten später sind wir eingebunden in Fragen, was denn los wäre und ob wir Hilfe bräuchten. Jedes Auto stoppt. Das bedeutet, unsere Gruppe wächst stetig. Unter ihnen ist auch ein sehr kräftig und wissend aussehender Auto Doktor. Eyal kann gerade nicht vertrauen. Es geht um sein so dringend benötigtes und geliebtes Auto. Er ruft einen Abschleppdienst an, der so gar nicht begeistert ist über unsere Lage. Er verspricht trotzdem zu kommen. Nach zwei Stunden ist es so weit. Es wird bemerkt, dass es unmöglich ist, den Pickup auf den Track zu ziehen, da ja die Achse gebrochen ist. Wir atmen. In der Ferne brennen weiter die Autoreifen derweil die Nacht mit einer strengen Kühle ihre Augen öffnet. Ich denke fröstelnd und leicht sehnsüchtig an den Auto Doktor. Es geschieht ein Wunder. Er kommt vorbei, um nach uns zu schauen. Eyal entlässt sich ins Vertrauen. Solche Engel sind doch einfach großartig. Der Auto Doktor beginnt sofort, wohlüberlegt und kraftvoll einen Plastikeimer mit Werkzeugen neben sich. Den Pickup hat es wirklich schwer erwischt. Es ist harte Muskelarbeit seine kaputten Teile per Hand zu lösen. Der Auto Doktor braucht anderes Werkzeug. Teile unserer Beobachtungsgruppe verschwinden mit oder ohne Auto in verschiedene Richtungen und kommen mit unterschiedlichen Schraubenschlüsseln etc. zurück. Jetzt kommen auch echte Taschenlampen und diverse Smartphone zum Einsatz. Der palästinensische Auto Doktor liegt in diesem Licht an seinem heiligen Tag in der Kühle der Nacht unter dem israelischen Pickup und schraubt Stunde um Stunde. Dann verschwindet er in seine nahe gelegene Werkstatt, um eines der Teile zu schweißen. Eyal vertieft sich in sein Vertrauen auf seine Rückkehr. Er ist gefühlte 5 Stunden weg. Es sind aber doch nur zwei. Derweil wird ungefragt ein Feuer entfacht, um Tee zu kochen, der uns in hübschen Gläsern heiß und wohltuend serviert wird. Wieviel Engel gibt es hier eigentlich frage ich mich im Stillen? Die Wärme beruhigt und spendet Kraft. Wir stehen alle zusammen. Eyal kramt sein gesamtes Arabisch heraus, um geduldig die vielen politisch, menschlichen Fragen zu beantworten. Der Auto Doktor kommt zurück mit Händen, die mittlerweile so schwarz wie die Nacht selbst sind. Er nickt uns freundlich zu, um sich dann sofort wieder unter den Pickup zu legen. Nach acht Stunden Bauzeit und unzähligen Gläsern heißen Tee ist der Pickup wieder startklar. Es werden froh Hände geschüttelt und eine nächtliche Einladung in die Werkstatt ausgesprochen. Wir fahren hin und sitzen lachend auf ÖL beschmierten Sesseln. Einiges vom Pickup laden wir aus, denn es wird auch hier dringend gebraucht und unser Dankesbedürfnis ist riesig. Es dauert eine Weile bis der eine Engel dem anderen Engel entlockt hat, wieviel Geld ihn für diese Leistung glücklich machen würde. Er entscheidet sich für umgerechnet 150€.
Eyal übergibt sie ihm dankbar. Und nun behandelt er noch einen Assistenten des Auto Doktors, der über starke Rückenschmerzen klagt. Es wird schnell besser, denn Eyal ist auch ein Doktor für chinesische Medizin. Der geheilte Pickup bringt uns sicher über den Checkpoint, durch die wachsende Mauer hindurch nach Israel. Ich schlafe tief nach so einem engelhaften Tag. In Dankbarkeit an Eyal und alle israelisch/ palästinensischen Friedensmenschen.
Cara
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