top of page

Ich sehe etwas nicht, was du doch siehst / Smadar Madi


Seit Jahren sehe ich sie von meinem Haus aus. Von weit weg sieht es aus wie eine Ansammlung von Blechhütten, etwas Graues am Ende eines weißen Schotterwegs. Nachts im Dunkeln bewegen sich langsam kleine Fahrzeuglichter dort unter meinem Haus in der Wüste. Schon immer frage ich mich: Wer sind sie? Was machen sie dort? Wer wohnt dort?

Ich kam zu ihnen zusammen mit Eyal, seiner Frau Eileil, Asi, Idit und Malya. Plötzlich sah ich mein Haus aus der Ferne. Die Blickrichtung änderte sich auf einmal und ich stand an ihrer Stelle für einen Moment nur, meinen Blick zur jüdischen Siedlung gerichtet.

Wir gingen in einen Raum, der für mich wie ein Wohn- oder Gästezimmer aussah. Teppiche und Matratzen aus Schafswolle bedeckten den Boden. Kaltes Wasser aus einer Plastikflasche wurde in ein Glas eingeschenkt und herumrumgereicht, gefolgt von süßem Tee.


Ein Bild hängt an der Wand: Eine Gruppe von Nomaden mit Kamelen und sonstigem Vieh. „Von wann ist das?“ frage ich. Um 1900, an einem Wasserloch nicht weit von hier. Der Stamm wanderte mit den Jahreszeiten in einer über Jahre tradierten Route. Anthropologen nennen das „Halb-Nomaden“. So lebten sie. Allerdings ist in der modernen Welt mit ihrer Ordnung und Dokumentation kein Platz für eine solche Lebensform. Fotos von Häusern gibt es nicht. „Also wart ihr gar nicht hier und ihr habt kein Anrecht auf das Land!“ werden wohl einige dazu sagen.


Wir gehen in den Raum der Frauen und der Kinder. Drei Jugendliche lächeln mich vom Eingang an, sie kichern ein bisschen. Vielleicht finden sie mich irgendwie lustig? Ich lächle zurück. Es freut mich sie zum Lachen zu bringen. Im Haus treffe ich auf fünf Kinder und ihre Mutter. Sie hat gütige Augen, die Haut ihres Gesichts ist mit schönen, ausdrucksvollen Furchen übersät und ihre Ausstrahlung ist ganz weise, kräftig und sanft. Ich setzte mich hin, beobachtend, lächelnd. Ich beherrsche ihre Sprache nicht, aber ich kann der Sprache der Herzen vertrauen, die auch ohne Worte sehr deutlich ist.

Sie setzt sich zu mir neben Eileil, die etwas arabisch spricht. „Studierst du?“, fragt sie mich über Eileil. Ich verneine. „Wie viele Kinder hast du?“. Fünf. „Was?!“ Wir lachen zusammen und Respekt breitet sich zwischen uns aus. „Wie viele Jungs? Wie viele Mädchen? Machen sie viel Chaos oder sind sie ruhig? Wie alt? Wie heißen sie?“

Ich sage ihr: „Die Siedlung, die du da siehst, dort auf dem Hügel, da wohne ich.“

Ihre Augen weiten sich in Staunen. „Und was denkst du über diese Situation?“, fragt sie mich. „Ich möchte, dass wir Freunde werden“, antworte ich. „Friends“. Sie versteht etwas Englisch.


Sie schaut mich an und lächelt. „Friends…“, spricht sie mir nach. In Ihrem Blick vermischen sich Hoffnung und Verzweiflung. „Inshalla..“

„Inshalla“, spreche ich ihr nach. „Jetzt sehe ich dich von meinem Haus und du siehst mich von deinem Haus, also sind wir Nachbarinnen“, sage ich.

„Man braucht ein Fernglas“, schmunzelt sie.

„Mein Sohn, der gerne Vögel beobachtet, hat ein tolles Fernglas“, sage ich. „Ich werde dir ein Fernglas bringen, und so werden wir uns von unseren Häusern zuwinken“. So wurde es ausgemacht, und wir lachten wieder zusammen.

Eileil spricht mit einer älteren Dame ein paar Sätze auf Arabisch und eine Welle von Schmerz strömt in mir hinauf und überflutet meine Augen mit Tränen.

Wieso diese Feindseligkeit?


Ich muss zurückkehren zu meinem Alltag, ich steh auf und mache mich auf den Weg hinaus. Sie steht auf, drückt meine Hand mit ihrer Wärme und schaut mir in die Augen mit einem Lächeln voller Zuneigung und Optimismus. „Vergiss nicht mir das Fernglas zu bringen.“ „Ich werde es dir bringen. Klar, werde ich es dir bringen.“

Schon jetzt vermisse ich diesen Ort irgendwie.

Ich möchte handeln. Ich möchte etwas tun. Die Zeit ist gekommen, sagt eine Stimme in mir, um Licht, Unterstützung, Herzlichkeit, Heilung an diesen Ort zu bringen und den Menschen zu helfen.


Wenn du unsere Arbeit unterstützen möchtest, freuen wir uns sehr über eine Spende, die direkt dem Projekt zu Gute kommt. Vielen Dank


> Zur Unterstützung der Friedenssicherung <



Comments


bottom of page